Biodiversitäts-Hotspots auf den zweiten Blick

Auch außerhalb von Schutzgebieten sind wertvolle Lebensräume mit seltenen Tier- und Pflanzenarten zu finden, doch belastbare Daten über das Vorkommen und den Zustand der Flora und Fauna stehen hier oftmals noch aus. Im Projekt „Biodiversitäts-Hotspots auf den zweiten Blick“ nehmen wir diese im Landkreis Cuxhaven daher genauer unter die Lupe. Ziel innerhalb der Projektlaufzeit von zwei Jahren von Mitte 2024 bis Mitte 2026 ist zum einen die Erfassung wertgebender Tierarten und bestimmter Biotope und zum anderen die Umsetzung von Schutz-, Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen. Diese sollen einen Beitrag zur Zielerreichung des integrierten EU-LIFE-Projektes „Atlantische Sandlandschaften“ leisten.

Seltene Arten in besonderen Lebensräumen

Schlingnatter (Foto: Moritz Otten)

Im Fokus steht die Erfassung und Förderung von Arten, die sich in (halb-)offenen Sandlebensräumen und degradierte Hochmoore besonders wohlfühlen. Dazu zählen Zauneidechse und Schlingnatter, die u.a. in reich strukturiertern Sandheiden vorkommen. Neben anderen Reptilien, wie der Kreuzotter, zählen auch Moorfrösche, Kreuzkröten und auch Bienenfresser zu den Zielarten, die in den folgenden, nährstoffarmen Lebensräumen ihre ökologische Nische gefunden haben:

Dieser Lebensraum ist erst durch menschliche Bewirtschaftung nach Entwaldung entstanden. Auf den trockenen, nährstoffarmen Geestböden, welche in Norddeutschland durch die Sandablagerungen der letzten Eiszeiten entstanden sind, war die ackerbauliche Nutzung ohne natürliche Dünger nicht möglich. Deshalb war das Abschieben der Vegetation samt Oberboden, die sogenannte Plaggenwirtschaft, eine gängige landwirtschaftliche Praxis in den Heidegebieten. Das abgeschobene Material wurde als Einstreu in die Ställe gebracht und dort durch den Dung der Schafe mit Nährstoffen angereichert, so dass es anschließend auf Ackerflächen zur Düngung verwendet werden konnte. Der wiederholte Nährstoffentzug der Plaggflächen führte zu einer starken Aushagerung und Erosion der Böden und folglich zu offenen Sand- und Dünenstandorten. Mit diesen kargen Bedingungen kommen nicht viele Pflanzenarten zurecht, eine davon ist die Besenheide, ein immergrüner Zwergstrauch. Die so großflächig entstehenden Sandheiden wurden mit Schafen beweidet, waren aber bis zur Entwicklung des Mineraldüngers Mitte des 19. Jahrhundert für eine intensivere landwirtschaftliche Nutzung nicht mehr interessant – wohl aber für eine Vielzahl hoch spezialisierter Tier- und Pflanzenarten. Doch mit der Nutzungsaufgabe der Heiden, Aufforstung und verstärkten Nährstoffeinträgen durch die industrielle Landwirtschaft und einer damit beschleunigten Sukzession, sind von den einst weiten Heidelandschaften nur noch Relikte verblieben. Diese und ihre bedrohten Bewohner sind heute Bestandteil unseres Projekts.

Heidearten besiedeln jedoch nicht nur Sandböden, sondern sind auch ein prägender Bestandteil degradierter Hochmoore, angepasst an die dort ebenfalls herrschenden harschen Bedingungen. Bei vielen unserer Projektgebiete handelt es sich um entwässerte und abgetorfte Hochmoor-Standorte unterschiedlicher Regenerationsstadien. Vielfältige Moorbiotope wie Moorwald, Torfmoosschwingrasen, Wollgrasstadien und Moorheide gehen in den Randbereichen in trockene Heidelebensräume über. Dort fühlen sich Reptilienarten wie Kreuzotter, Schlingnatter oder Waldeidechse besonders wohl. Der Moorfrosch nutzt die bei der Wiedervernässung entstanden Gewässer zur Laichablage und Nachtschwalbe und Waldschnepfe ziehen des Nachts ihre Kreise.

Kreuz- und Knoblauchkröte, Bienenfresser und Uferschwalbe – diese Arten sind Bewohner eines weiteren Sandlebensraums. Ursprünglich waren die Arten in Überschwemmungsbereichen der Flüsse beheimatet, die durch ihre Dynamik ständig neue Lebensräume mit vegetationsarmen, offenen Böden und steilen Abbruchkanten schaffen. Doch natürliche Flussläufe sind durch den anthropogenen Gewässerausbau selten geworden. Fließgewässer wurden umfassend begradigt und eingedeicht, Gewässerufer befestigt und führten zum Lebensraumverlust vieler Tier- und Pflanzenarten. Heute finden die oben genannten Arten u.a. in stillgelegten und aktiven Sandgruben einen Ersatzlebensraum, da durch die Abbautätigkeiten ähnliche Bedingungen herrschen. Auch der Uhu, als ursprünglicher Felsklippenbewohner, fühlt sich hier wohl, denn er kann die durch den Sandabbau entstanden klippenartigen Strukturen als Nisthabitat nutzen.

Und schließlich zählt noch ein Säugetier zu unseren Zielarten. Der in Deutschland einst ausgestorbene Fischotter breitet sich auch in Niedersachsen wieder aus. Welche Gewässer er außerhalb der Schutzgebietskulisse im Landkreis Cuxhaven nutzt, wollen wir im Rahmen dieses Projekts herausfinden.

Bokeler-Moor (Foto: Isa Lemke)

Ohne Pflege kein Offenland

Für die Förderung der Zielarten ist heute die Pflege und Entwicklung geeigneter Offenland- und Halboffenland-Lebensräume von besonderer Bedeutung. Ohne menschliches Zutun verbuschen Moor- und Sandlebensräume und sind schon bald nicht wiederzuerkennen, denn aus den aufkommenden Gehölzen entwickelt sich erneut ein Wald. Die traditionelle Heidebewirtschaftung ist heutzutage nicht mehr Praxis und somit sind Heidelandschaften und offene Sandlebensräume stark gefährdet. Moore wurden (und werden heute noch) entwässert und die Renaturierung wird durch Klimawandel und Eutrophierung erschwert.

Im Projekt „Biodiversitäts-Hotspots auf den zweiten Blick“ setzen wir daher folgende Maßnahmen zur Aufwertung dieser Lebensräume um:

  • Entkusseln von Heiden und Magerrasen sowie von Hochmoorregenerationsstadien
  • Auflichtung von halboffenen Waldbeständen
  • Plaggen von Sandheide und somit
  • Schaffung sandiger Offenbodenstellen
  • Anlage von Sandhaufen und Dünenstrukturen
  • Pflege und Anlage von Totholz- und Steinhaufen
  • Pflege und Anlage von Kleingewässern und Offenbodenbereichen in Sandabbaustellen

Bei der Moor- und Heidepflege fallen häufig Begriffe wie „Entkusseln“ oder „Plaggen“, welche im normalen Sprachgebrauch vermutlich eher selten zu hören sind. Mit „Entkusseln“ ist die Entfernung von aufwachsenden Gehölzen gemeint, um der Sukzession entgegenzuwirken und den Offenlandcharakter zu erhalten. Beim „Plaggen“ wird der nährstoffreiche Oberboden abgeschoben, wie bei der historischen ackerbaulichen Nutzung, der oben beschriebenen „Plaggenwirtschaft“. In den geplaggten Bereichen werden so Nährstoffe entnommen und auf dem offenen Boden Platz für neu aufwachsende Heide geschaffen, wodurch aus dem Nebeneinanderstehen von jungen und alten Heidebeständen ein für viele Tierarten interessanter Lebensraum geschaffen wird. Sandige Offenbodenstellen- und Dünenstrukturen dienen Zauneidechsen als Eiablageplatz und sind zudem Lebensraum vieler Insektenarten.

Auch in Sandgruben ist das Offenhalten der Biotope von Kreuz- und Knoblauchkröte für die Erhaltung der Lokalpopulationen von entscheidender Bedeutung. Als Pionierart ist die Kreuzkröte auf offene Rohböden mit spärlicher Vegetation und sonnenexponierte Flachgewässer für die Fortpflanzung angewiesen. Auch die Knoblauchkröte braucht offene Bereiche mit lockerem Boden zum Eingraben und bevorzugt nicht zu flache Kleingewässer, die halbschattig bis besonnt sind. Nach Beendigung des Sandabbaus wachsen die flachen Kleingewässer und Sandböden ohne Pflege jedoch ebenfalls rasch zu. Das Entfernen des Aufwuchses und die Anlage von neuen Kleingewässern schafft für die beiden Krötenarten geeignete Lebensbedingungen.

Kransgburger Heide (Foto: Isa Lemke)

Portraits ausgewählter Projektgebiete

Twelenberg
Heidelandschaft Twelenberg mit Besenheide (Foto: Isa Lemke)

Gebietsgröße: 5,9 ha

Lebensraum: Geesthügel mit Heide, stellenweise offene Sande und Trockenrasen. In den Randbereichen Waldbestände
mit eingestreuten Lichtungen mit Besenheide und Krähenbeere.

Zielarten: Zauneidechse, Kreuzotter, Schlingnatter

Besonderheiten: Der Twelenberg wird durch die A27 durchschnitten

Maßnahmen: Entkusseln der Heide, Anlage von Totholz- und Sandhaufen

 

Kransburger Heide
Zauneidechse (juvenil) in der Kransburger Heide (Foto: Moritz Otten)

Gebietsgröße: 29,1 ha

Lebensraum: Auf einem Geestrücken gelegene halboffene Sandheidelandschaft mit einem Mosaik aus verschiedenen Lebensräumen wie Sandheide, offene Sande, Magerrasen, lückige Waldbestände

Zielarten: Zauneidechse, Schlingnatter, Lebensraumtyp 6230 „Borstgrasrasen“

Besonderheiten: Im Nordwesten des Gebietes wurde auf einer ehemaligen Ackerfläche wurde im Rahmen einer Kompensationsmaßnahme der Oberboden abgeschoben und mit Heideschoppenmaterial aus der Lüneburger Heide angereichert. Hier konnte sich eine artenreiche Sandheide entwickeln.

Maßnahmen: Gehölzentnahmen zur Auflichtung der Waldbestände, Anlage von Totholz- und Sandhaufen

Bokeler Moor
Beweidete Sandheide im Bokeler Moor (Foto: Isa Lemke)

Gebietsgröße: 100,5 ha

Lebensraum: Hochmoor mit naturnahen Moorheiden, vernässten Handtorfstichen und Birkenmoorwäldern. In den Randbereichen schließen sich trockene Geeststandorte mit Sandheiden und Magerrasen an, welche beweidet werden.

Zielarten: Zauneidechse, Waldeidechse, Kreuzotter, Moorfrosch, Waldschnepfe, Ziegenmelker

Besonderheiten: Die bei der Wiedervernässung entstandenen Gewässer sind von besonderer Bedeutung als Laichgewässer für den Moorfrosch

Maßnahmen: Gehölzentnahmen zur Auflichtung der Waldränder, Anlage von Totholz- und Sandhaufen

Sandkuhle Nordholz
Ehemalige Sandabbaufläche bei Nordholz (Foto: Tasso Schikore)

Gebietsgröße: 29,4 ha

Lebensraum: aufgelassene Sandabbaufläche mit zahlreichen z.T. temporären Flachgewässern, offenen Sanden, Magerrasenstrukturen und besonnten Böschungen

Zielarten: Kreuzkröte, Knoblauchkröte, Bienenfresser, Uhu

Besonderheiten: Die Sandkuhle Nordholz beherbergt eine der größten Kreuzkröten-Population des Landkreises, welche möglicherweise als Quellpopulation für die Besiedlung anderer Sandkuhlen dienen könnte.

Maßnahmen: Entkusselung und Freistellung der Laichgewässer und sonnenexponierter Hanglagen, Neuanlage von Laichgewässern

Gemeinsam für die Biodiversität

Das Projekt wird durch die Niedersächsische Bingo-Umweltstiftung und den Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) gefördert. Eine enge Zusammenarbeit besteht mit der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Cuxhaven und der Ökologischen Station Cuxland in der Naturschutzstiftung des Landkreises. Die Umsetzung der Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen wird an Fachfirmen vergeben.

Interessierte Bürger:innen können sich gerne bei kommenden Exkursionen über das Projekt informieren und ausgewählte Projektgebiete kennenlernen. Die Termine unserer Veranstaltungen sind hier zu finden. Die Mithilfe bei ehrenamtlichen Pflegeaktionen ist herzlich willkommen.

Bitte melden Sie sich bei Fragen zum Projekt oder Interesse an der ehrenamtlichen Mitarbeit an:

Hanna Konrad
Tel.: 04791-502667-3
E-Mail: h.konrad@bios-ohz.de

 

Exkursionen

 

Weitere Projekte zur Aufwertung von Sandlebensräumen

Atlantische Sandlandschaften – Integriertes EU-LIFE-Projekt

Rotenburger Sandhelden

 

 

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